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Die Bombe im Kopf

Coming-of-Age-Geschichten können in den unterschiedlichsten Genres erzählt werden. American Pie nähert sich dem Thema von der komischen Seite, während Sidney in Scream blutigen Horror überleben muss, um am Ende als frisch gebackene Frau zu triumphieren. Bei Ginger & Rosa handelt es sich um ein klassisches Drama, doch das ist keineswegs so langweilig, wie es für einen Großteil der jüngeren Zielgruppe vielleicht klingen mag. Mit einem genialen Drehbuch erschafft Autorin und Regisseurin Sally Potter eine Welt, die die Probleme der Menschen, die in ihr erwachsen werden müssen, widerspiegelt und an die Oberfläche zwingt, was viel zu oft verdrängt wird.


Ginger und Rosa wurde ihre Freundschaft schon in die Wiege gelegt. Sie erblickten genau gleichzeitig das Licht der Welt, als sich ihre Mütter im Jahr 1945 bei der Geburt an der Hand hielten, um die Schmerzen ertragen zu können. Die Männer warteten draußen und blieben in gewisser Weise von nun an immer außen vor. Rosas Vater ließ die Familie schon bald komplett hinter sich und auch wenn die Beziehung von Gingers Eltern zunächst harmonisch erscheint, tun sich auch in dieser Familie schon bald Abgründe auf. Genau wie die Mütter sich gegenseitig Kraft geben, sind auch die Töchter durch ein scheinbar untrennbares Band miteinander verknüpft.


Ginger und Rosa Boot

Als Ginger und Rosa siebzehn sind, hat die Angst des kalten Krieges die Menschen fest in ihrer Gewalt. Die Nachrichten überschlagen sich mit Meldungen über "die Bombe" - das Ende der Welt scheint allgegenwärtig. Auch die beiden Freundinnen beschäftigen sich mit dem Thema, allerdings auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Während Rosa die Entscheidung über den Erhalt der Menschheit dem lieben Gott überlassen will und sich in der Kirche geborgen fühlt, schleppt Ginger sie mit zu politischen Versammlungen. Bald prasseln allerdings ganz andere Probleme auf die Mädchen ein und sowohl ihre Freundschaft als auch ihre Selbstbilder müssen unweigerlich auf den Prüfstand gestellt werden.


Ginger und Rosa Essen

Sally Potter stellt in Ginger & Rosa die alte Frage nach der Verbindung von Politischem und Privatem und erschafft dafür die perfekte Figurenkonstellation vor dem sehr passenden Hintergrund des kalten Krieges. Ginger geht ständig davon aus, dass jeder Tag ihr letzter sein könnte, was ihr Dilemma mit sich selbst und dem Verhalten der Menschen um sie herum auf die Spitze treibt. Einerseits will sie Probleme nicht von sich wegschieben, sich mit allem aufrichtig auseinandersetzen und mit Blick auf das baldige Ende vorher auf keinen Fall ihre Integrität opfern. Andererseits kann sie den Gedanken nicht ertragen, den Respekt ihres Vaters zu verlieren, der ihr zwar jederzeit einbläut, für sich selbst denken zu müssen, gleichzeitig aber jedes andere Gedankengut verabscheut. Wenn eine politische Einstellung plötzlich mit der eigenen, noch nicht fertig geformten, Persönlichkeit einherzugehen scheint, wird es umso schwerer, erwachsen zu werden, ohne sich dabei zum Extremisten zu entwickeln. Obwohl Ginger politisch aktiv sein will, erkennt sie diese Gefahr und versucht dagegen anzukämpfen, während Rosa am liebsten alles Weltliche verdrängen will. In ihrem Wunsch, ewig Kind zu bleiben und eine Vaterfigur zu finden, erreicht sie genau das Gegenteil und verliert zudem ihre engste Verbündete.


Ginger und Rosa Poem

Elle Fanning liefert als Ginger eine Performance ab, bei der es dem Zuschauer immer wieder kalt den Rücken runterläuft. Mit ihrer zarten Statur und einer Haut wie aus Porzellan, wirkt sie genauso zerbrechlich, wie sie es im Inneren ist. Ginger lebt mit der ewigen Schuld, ihre Mutter durch ihre ungeplante Existenz ins Unglück getrieben zu haben und zwingt sich deshalb in ihrer streng auferlegten Selbstlosigkeit zu einer Entscheidung, die das allgemeine Chaos nur verschlimmert. Plötzlich wird von allen Enden an ihr gezogen, bis jegliche Bewegung unmöglich wird und sie die Bombe nur noch in ihrem eigenen Kopf spürt.


Auch Alice Englert, die momentan schon als Hexe in Beautiful Creatures brilliert, gelingt es, der tendenziell eher unsympathischer angelegten Rosa Tiefe zu geben und ihre scheinbar unmoralischen Handlungen nachvollziehbar zu machen. Sie und Rosa führen zwei unvereinbare Kämpfe mit der Welt und letztendlich sind Opfer dabei unvermeidbar.


Fazit: Ginger & Rosa ist ein beeindruckender Film, der mit wenigen Schwachpunkten (beispielsweise einer etwas überspitzt negativen Vaterfigur) auf sensible Weise eine emotional sehr packende und universelle Geschichte erzählt. Zwei Freundinnen, die alles miteinander geteilt haben und sich gegenseitig in und auswendig kannten, scheinen sich vom einen zum anderen Moment in komplette Gegenteile zu verwandeln und keine der beiden ist bereit zu verstehen, was das nun über sie aussagt. Bilder erzählen in diesem Film zum Glück mehr als tausend Worte, vor allem als Teil von politischen Reden. Genau so muss das im Kino sein.


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Spinelli313

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