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Was den Menschen antreibt

Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen, haben oft einen ganz besonderen Reiz. Die scheinbar haarsträubendsten Handlungen können nicht so einfach als „unrealistisch“ abgetan werden und der Gedanke im Hinterkopf, dass es die betrachteten Menschen und ihre Schicksale tatsächlich so, oder zumindest so ähnlich, gegeben hat, birgt von Anfang an oft ein ungemein größeres Identifikationspotenzial, als bei komplett erdachten Drehbüchern freigesetzt werden kann. Selbst bei den schockierendsten, scheinbar unmöglich nachzuvollziehenden Aktionen, gibt der Zuschauer dem Held einen Echtheits-Bonus, der ihn davor schützt, nicht ernst genommen zu werden. Die Figur des Thor Heyerdahl in Kon-Tiki hat diesen Bonus bitter nötig.


Kon-Tiki Thor

Der Film erzählt die Geschichte des berühmten norwegischen Forschers, Anthropologen, Biologen, Zoologen, Geologen oder kürzer gesagt, des getriebenen Abenteurers und seiner berühmtesten Expedition. Weil Heyerdahl beweisen wollte, dass Polynesien aus Südamerika und nicht aus Asien besiedelt wurde, wählte er einen unorthodoxen Ansatz: Er segelte die von ihm für die Besiedlung angenommene Strecke kurzerhand selbst nach. Dazu bauten er und seine Crew ein Floß aus Balsaholz und anderem Material, dass auch den Südamerikanern schon vor 1500 Jahren zur Verfügung stand. Alle guten Ratschläge, zumindest Draht zu verwenden, um etwas mehr Sicherheit zu garantieren, lehnte er vehement ab.


Der Film beginnt mit Heyerdahl als kleinem Jungen, der schon damals zu waghalsigem Leichtsinn neigte und Risiken auf sich nahm, die in keinem Verhältnis zu seinen tatsächlichen Fähigkeiten standen. Gute dreißig Jahre später hat sich daran nichts geändert. Von anderen Wissenschaftlern für seine Theorie verlacht, ist er schnell fest entschlossen, den praktischen und lebensgefährlichen Beweis zu erbringen. „Wieso?“, fragt man sich als Zuschauer, doch das ist eine dieser Stellen, an der wir uns noch eine Zeit lang vertrösten lassen, weil es eben tatsächlich so passiert ist. Die nötigen Gründe muss es gegeben haben und sind von den Drehbuchautoren nicht einfach vergessen worden. Trotzdem fällt es schwer, sich in die Motivation von Heyerdahl reinzudenken und ganz generell, ihn sympathisch zu finden. Ein geleckter Blondschopf, der versucht, ein Team durch eine halsbrecherische Expedition zu leiten, obwohl es ihm offensichtlich an Know-How fehlt? Ein Schnösel, der Frau und Kinder zu Hause versauern lässt? So jemand wächst dem Zuschauer nicht besonders leicht ans Herz.


Kon-Tiki Liv

Vor allem der letzte Punkt ist es aber, der der Hauptfigur und damit auch dem Film eine wichtige tiefere Ebene gibt. Zu Beginn seiner Karriere wurde Heyerdahl von seiner Frau Liv auf alle Expeditionen begleitet. Die beiden lebten gemeinsam auf abgeschiedenen Inseln, als unzertrennliche Einheit, beflügelt von wissenschaftlicher Neugier, befreit von allen anderen Verpflichtungen. Als Liv während dieser Zeit krank wird, ist ihre Rettung das einzige was für Thor zählt. Sogar seine Forschungsergebnisse geraten zur Nebensache. Einige Jahre und zwei Söhne später ist von dieser Einstellung offensichtlich wenig übrig geblieben und die Gründe dafür werden im Film subtil aber treffend angedeutet. Das stille norwegische Haus, in dem Liv mit Thor telefoniert, steht im starken Kontrast zum hektischen Treiben, das Thor zum Leben braucht. Die Heimat ist symmetrisch, entsättigt und völlig reizlos. Daran können auch die Söhne nichts ändern. Dass diese Unvereinaberkeiten trotzdem großen Schmerz für alle Beteiligten mit sich bringen, wissen die Schauspieler gekonnt zu übertragen. Und wieder stellt sich die allgegenwärtige Frage: „Wofür das alles?“


Kontiki Haie

Die Expedition selbst bildet den Hauptteil des Films und wird nur durch wenige Rückblenden unterbrochen. Der Anflug des beklemmendes Gefühls, das sich unweigerlich einstellen muss, wenn man 100 Tage auf einem winzigen Floß den Launen der Natur ausgesetzt ist, mag sich leider nicht so richtig einstellen - Filmfreunde, die mehr Wert auf Action legen, wird das aber sicherlich freuen. Was die weißen Haie, die das Floß scheinbar durchgehend begleiten, zwischendurch so veranstalten erinnert schon teilweise an durchaus bekannte Horrorfilme und hier wird wohl von den Filmemachern einiges hinzugedichtet worden sein. Immerhin lässt die Animation der Raubfische keine Wünsche offen - Kon-Tiki ist nicht umsonst der teuerste norwegische Film aller Zeiten.


Besonders interessant ist, dass wir als Zuschauer hier Zeuge einer doppelten Nachstellung von Ereignissen sind. Thor Heyerdahl versuchte 1947 möglichst exakt etwas zu wiederholen, was 1500 Jahre vorher stattgefunden haben soll und wir betrachten nun die fiktionale Interpretation des Ganzen. Die Dokumentation von Heyerdahl selbst gewann übrigens schon 1952 einen Oscar. So oft man eine Geschichte aber auch wiederholt - die Menschen im Zentrum bleiben immer nur kleine Spielbälle von etwas Übermächtigem. Diesen Punkt wollen die Filmemacher offensichtlich sehr deutlich unterstreichen. Immer wieder wird uns das Floß als klitzekleiner weißer Punkt inmitten von endlosem Wasser präsentiert und letztendlich finden wir uns sogar im Weltall wieder und betrachten die Sache im wahrsten Sinne des Wortes aus der Gottesperspektive.


Und nur unter diesem Gesichtspunkt kann man Kon-Tiki verstehen und dem Film mit seinem polarisierenden Helden etwas abgewinnen. Manche Ziele lassen sich mit Logik nicht erklären und das Erreichen dieser Ziele kann auch mit Technik und Können nicht garantiert werden. Heyerdahl ist theoretisch durchaus bewusst, dass die Überlebenschancen von ihm und seinem Team nicht sonderlich rosig aussehen, doch sein Glaube verbietet ihm jegliche Zweifel an ihrem Erfolg. Ob er nun an Gott, an Tiki oder nur an sich selbst glaubt, spielt letztendlich keine Rolle. Man kann ihn dafür hassen, doch Fakt ist, dass es in der Regel solche Verrückten sind, die Großes erreichen und das zu beobachten ist unweigerlich faszinierend.


Fazit: Kon-Tiki ist ein spannender Film über die Natur des Menschen und die Frage, was uns im Leben antreibt. Trotz kleiner Schwächen und Längen ist der Film absolut sehenswert, am allerbesten natürlich auf großer Leinwand.


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Spinelli313 13:20, 21. Mär. 2013 (UTC)

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