Es gibt mittlerweile nur noch wenige Bestseller, die nicht verfilmt wurden, oder deren Rechte zumindest gesichert sind. Doch nicht nur Hollywood ist im Adaptionsfieber, auch wir Deutschen mischen mit und scheinen dabei ein ganz besonderes Faible für Historienwälzer zu haben. Nach „Die Päpstin“, der mehrteiligen Fernsehproduktion „Die Säulen der Erde“, sowie Publikumsliebling und Kritiker-Hassobjekt „Die Wanderhure“ kommt nun der Film zum bereits 1986 erschienenen Erfolgsroman „Der Medicus“ (engl.: „The Physician“) ins Kino.
Erzählt wird die Geschichte des jungen Rob Cole, der mit zehn Jahren zum Waisenkind wird, weil seine Mutter an einer scheinbar unheilbaren Krankheit stirbt. Potenziellen Pflegefamilien ist das Kind schon zu alt und so schließt Rob sich einem Wanderheiler an, bei dem er seine Leidenschaft für die Medizin entdeckt. Als er eines Tages erfährt, dass er im fernen Persien eine Ausbildung erhalten kann, von der man in Europa nicht zu träumen wagt, tritt er die beschwerliche Reise an, um von Ibn Sina, dem „Arzt aller Ärzte“, zu lernen. Auf seinem Weg durch die Wüste trifft er auf die schöne Rebecca, die allerdings schon einem anderen Mann versprochen ist. Dazu kommt die Gefahr, als Christ erkannt und von den Moslems getötet zu werden. Als Rob trotz aller Widrigkeiten als Schüler akzeptiert wird und die Umstände sich endlich zu beruhigen scheinen, bricht eine tödliche Epidemie aus, die die angehenden Ärzte an ihre Grenzen treibt.
Wenn ein deutscher Produzent annähernd den Platz des 2011 verstorbenen Bernd Eichingers einnehmen könnte, wäre Nico Hoffmann wahrscheinlich bei der Wahl weit vorne mit dabei. Sein Name steht für große (Ko)Produktionen mit viel Budget und internationaler Auswertung. Die deutsche Kriegsgeschichte ist häufig zentrales Thema – sein neuster Triumph „Unsere Mütter, unsere Väter“ erzählte in drei Teilen die Geschichte von sechs Freunden aus dem 2. Weltkrieg in einer Qualität, die man im deutschen Fernsehen (und Kino) in der Regel lange suchen kann. Mit „Der Medicus“ wollte er jetzt nach eigener Aussage ein Werk in der Tradition von großen europäischen Filmen wie „Der Name der Rose“ schaffen. Dazu hat er den deutschen Regisseur Philipp Stölzl verpflichtet, der in den ersten Jahren seiner Karriere vorrangig Werbefilme und Videoclips drehte, dann diverse Opern inszenierte und schließlich mit „Nordwand“ und „Goethe“ auch zum Kino überging. Für die komplexe literarische Vorlage macht es durchaus Sinn einen Regisseur mit so einem facettenreichen Hintergrund zu wählen, doch mit dem Erwartungsdruck im Rücken, einen Film für ein internationales Publikum machen zu müssen, kann man vor dieser Entscheidung der Produzenten durchaus mal den Hut ziehen.
Auch über die Wahl der Schauspieler kann man sich in „Der Medicus“ wirklich nicht beschweren. Ben Kingsley und Stellan Skarsgård brillieren wie gewohnt – haben es dabei aber mit ihren charismatischen Figuren auch um einiges einfacher als Newcomer Tom Payne, der sich mit einer Hauptrolle abmühen muss, die leider über weite Strecken sehr eindimensional und uninteressant bleibt. Rob Cole ist Gutmensch durch und durch und auch seine vermeintlichen Sünden nimmt der Zuschauer nicht wahr, weil sie nicht als solche präsentiert werden. Emma Rigby, die die einzig erwähnenswerte weibliche Rolle spielt, ist sehr schön und das reicht (leider) weitgehend aus, um den Anforderungen an die Figuren gerecht zu werden.
Ihrem eigenen Anspruch, nicht nur einen Abenteuerfilm, sondern auch „ein modernes Plädoyer für ein friedliches Miteinander und religiöse Toleranz“ abzuliefern, können die Filmemacher leider nicht gerecht werden. Der Versuch ist durchaus erkennbar – fiese Extremisten, intolerante Verräter und verfolgte Minderheiten sind alle vertreten, doch zum zentralen Thema wird das trotzdem an keiner Stelle. Dafür liegt zu viel Fokus auf der Liebesgeschichte und dem naiv tugendhaften Wissensdurst des Protagonisten.
Visuell kann sich „Der Medicus“ durchaus mit Hollywood-Produktionen oder seinem Vorbild „Der Name der Rose“ messen – besonders die aufwendigen Sets und Naturaufnahmen begeistern. Der harte Kontrast zwischen Orient und Okzident überträgt sich optisch sehr überzeugend, meistens ohne künstlich zu wirken.
Trotz aller negativen Anmerkungen kann ich nicht behaupten, dass ich mich im Kino gelangweilt hätte. Man sollte eben nur keinen großen Anspruch oder eine „realistische“ Darstellung der erzählten Zeit oder eine ernstzunehmende Vermittlung der vielen, halbgar ins Drehbuch gequetschten Themen erwarten. "Der Medicus" ist Soap fürs Kino auf hohem Niveau.
Spinelli313 10:56, 25. Dez. 2013 (UTC)